das ist eine frage der wahrnehmung der
realität.
interview mit ulrike laubenthal
- konsenstrainerin
ich weiß nicht, ob ihnen schon einmal
aufgefallen ist, wenn sie jetzt so leute fragen hier in der gegend,
wie das hier so alles gekommen ist, dass sie da nicht so klare
antworten bekommen. also, die einen streiten grundweg ab, dass
es eine weisse zone gibt, die anderen sagen, sie wissen nicht
so richtig, wie das gekommen ist, und manche erzählen irgendwelche
geschichten, die sich dann aber widersprechen. das ist kein zufall,
das hat seinen grund. also, das ist ganz bewußt so ein stück der
erinnerung entrückt, als das passiert ist. das war eine ganz bewußte
geschichte iund sollte wohl so sein. ich kann ihnen einfach mal
so ein bißchen erzählen, wie das damals gekommen ist, obwohl ich
nicht alles verraten darf. das ist ein mysterium.
das
heißt also, irgend jemand kennt das geheimnis, verrät es uns aber
nicht?
nein, nicht ganz. es gibt ein geheimnis, das ist klar, und manche
wissen ein bisschen etwas darüber - und ich kann ihnen so ein
bisschen etwas darüber sagen. sie wissen ja, dass das eine zeit
lang umstritten war, dieses gelände, als die bundeswehr da einen
bombenabwurfplatz draus machen wollte, und dass die friedensbewegung
das eben nicht wollte und auch die menschen hier in der region
nicht. und da ist einfach etwas passiert mit diesem stück erde.
wir wissen ja, dass es da eine verbindung gibt zwischen uns, unserem
bewußtsein und der erde, dass wir nicht unabhängig voneinander
existieren. tja, und dieses stück land ist in so verschiedener
weise gesehen worden, dass dadurch die realität dort immer instabiler
wurde. es gibt leute, die das schon immer einfach als den ort
gesehen haben, wo sie ihre pilze sammeln. sie haben es also nie
anders, als als einen ort gesehen, wo wunderbare pfifferlinge
wachsen. dann gab es die russen, die es einfach als ihren truppenübungsplatz
gesehen haben, als ihr bombodrom. dann gibt es hier menschen,
die es völlig ausblenden. du erlebst leute, die sich einfach nicht
vorstellen können, dass sie von gadow nach flecken zechlin einen
direkten weg nehmen könnten. die kommen einfach nicht darauf -
also nicht, dass sie sagen würden, da kann man nicht langgehen,
das ist hier gesperrt. es kommt ihnen einfach überhaupt nicht
in den sinn. es ist so, als wenn es überhaupt nicht existieren
würde. das ist auch schon lange, bevor es zur weissen zone wurde,
so gewesen. ja, und das hat einfach etwas mit der stabilität der
realität in diesem gebiet gemacht. in dieser ganz heißen phase,
als die bundeswehr dort anfing zu üben und das also auch noch
als ihren truppenübungsplatz sah, und ganz viele menschen aus
der friedensbewegung dorthin gekommen sind, die das wieder als
etwas völlig anderes gesehen haben, nämlich als einen platz, wo
plötzlich utopien wahr wurden, wo eine andere art des zusammenlebens
plötzlich wahr wurde und wo ein widerstand gegen diese kriege
sichtbar wurde... ja, das war auf einmal ein utopia, dieser ort.
und gleichzeitig gab es immer noch diese menschen, für die es
einfach nur ein ort zum pilzesammeln war. und es gab wiederum
mehr menschen, die dieser ganze konflikt so sehr angestrengt hat,
dass sie es am liebsten gar nicht mehr wahrnehmen wollten - und
es völlig ausgeblender haben. da ist es irgendwann zu einer so
labilen situation gekommen, dass es einen realitätssprung gegeben
hat. dadurch ist dann die weisse zone entstanden. was da jetzt
tatsächlich drinne ist? das ist ein bisschen mysteriös.
aber
es gibt doch leute, die dort noch immer ihre pilze sammeln? oder
traut sich jetzt keiner mehr rein?
na, es trauen sich schon noch welche rein. und das ist auch so
was, das wir als unsere aufgabe sehen, wir sind ja hierher gekommen
im zusammenhang mit den auseinandersetzungen um das bombodrom.
dadurch haben wir ein bild von dem, wie es da drin ist, weil ja
viele von uns damals auch drin waren. wir können menschen helfen,
sich ein bild zu machen von dem, was da drinnen ist. wenn wir
uns in unserem bewusstsein darauf konzentrieren, dass es ein ort
ist, wo man hingehen kann, wenn wir dieses bild vor uns entstehen
lassen können, wenn wir aufmerksam sind, wenn wir achtsam sind,
dann öffnen sich auch wege. das spannende ist aber, dass man dann
wieder einen hopper in der realität macht und dann wieder ganz
daneben hopst und woanders landet. gerade kürzlich ist es wieder
passiert. da waren vier leute unterwegs mit fahrrädern. die kannten
das gebiet von früher und waren sich gar nicht bewusst, dass da
jetzt die weisse zone ist. die hatten einfach nur dieses bild,
dass der radweg sie nach hause führt, dass sie der weg dorthin
führt, wo sie hin wollten. die leute sind da durch geradelt und
es ist nichts passiert. die haben nicht gemerkt, dass sie in der
weissen zone waren. die waren da auch nicht. aber einer von ihnen,
der hatte noch aus so nostalgischen gründen so eine "freie heide"-fahne
hinten am fahrrad und hat wohl doch in seinen gedanken viel diesen
zeiten nachgehangen und sich nicht auf das "hier und jetzt" konzentriert
- und auf einmal war er weg. erst stunden später kam er raus...
und
die anderen haben das nicht gemerkt?
die haben ihn auf einmal vermisst, die haben sich gewundert, wo
er bleibt und stunden später kam er und sagte, er wäre da irgendwie
kontrolliert worden von der polizei und musste seine personalien
abgeben. also, wenn man dieses gelände betritt und nicht sehr
gut geschult und vorbereitet ist, kann es einem immer wieder passieren,
dass man in diese andere realität springt und plötzlich ist da
ein truppenübungsplatz.
und wie muss man sich dafür schulen?
man muss die eigene wahrnehmung schulen.
man muss lernen, ein bild von diesem gebiet in sich entstehen
zu lassen.
können sie dafür ein beispiel geben,
wie sie die wahrnehmung für zonewanderer schulen?
das ist etwas, das wir direkt mit den menschen machen, wenn sie
hierher kommen. dazu gehört natürlich - so viel will ich noch
sagen, dass wir hier noch kartenmaterial aus zeiten haben, als
es noch keine weisse zone war und wir insofern helfen können sich
ein bild zu machen. wenn man dieses bild vor sich hat, geht es
schon viel besser. es geht aber auch darum, gewisse rituale zu
lernen, die in der weissen zone einfach wichtig sind für das überleben
dort.
könnten sie uns wenigstens ein
beispiel geben für ein ritual, das man da lernen muss?
ja, da wäre zum beispiel das konsensritual. aber ich glaube, das
sind jetzt themen, die sich erst mit geduld und zeit erschließen.
aber vielleicht in ein paar worten...was
kann man sich unter einem konsensritual vorstellen?
da geht es um umfassendes wahrnehmen der realität, der begebenheiten
um uns, in uns selber und in den anderen und das finden des besten
weges, sehen lernen des gemeinsamen weges. das ist gar nicht so
einfach. man braucht ein bisschen schulung, man braucht geduld.
ist es denn nicht so, dass unsere
ganze gesellschaft auf einem konsensritual basiert, die art, wie
sie funktioniert, wie sie uns vermittelt wird? ein konsens von
millionen von realitäten, im grunde so viele, wie es individuen
gibt. und dieser konsens hält sozusagen alles zusammen? unglaublich
viele menschen, die sich geeinigt haben...ja, so ist die realität?
das interessante ist ja, dass sie sich oft nicht einigen - und
das ist halt das, was fatal sein kann in der weissen zone. also,
wie diese vier, die da miteinander unterwegs waren und plötzlich
fanden sie sich in unterschiedlichen realitäten wieder. weil sie
sich eben nicht darüber ausgetauscht haben, wo sie gerade sind.
wenn wir jetzt zusammen aufbrechen würden und würden es schaffen,
zusammen in die weisse zone zu gehen, könnte es passieren, dass
wir uns auf einen weg zu einigen glauben, der da vor uns liegt,
aber es ist für jeden von uns ein völlig anderer weg. das kann
in der weissen zone mit ihrer instabilen realität sehr gefährlich
sein. plötzlich sind wir in zwei völlig unterschiedlichen realitäten.
gerade da ist es besonders wichtig, zu lernen, diesen konsens
zu suchen und sich über wahrnehmungen und empfindungen zu verständigen.
nicht einfach nur zu sagen, so schnell wie möglich, wir stimmen
ab und da geht es lang, sondern tatsächlich zu gucken, was dahinter
steckt. für menschen, die ergründen wollen, was es mit dieser
weissen zone auf sich hat, gibt es eben verschiedene orakelstätten
rundherum, wo zonewanderer unterstützung finden. die sichelschmiede
ist eine davon.
hier könnte man also eine spezielle
art von wanderführung bekommen, so eine art schulung für das wandern
um die weisse zone?
ja, auch für das betreten der weissen zone
auch für das betreten?
ja, das ist allerdings etwas, das ein bisschen zeit braucht, also
es geht nicht, mal eben da rein zu gehen.
aber das ist doch illegal?
das ist eine frage der wahrnehmung der realität. deshalb braucht
es ja auch zeit, sich damit auseinanderzusetzen und zu einer inneren
haltung zu gelangen, zu einem inneren bild zu kommen, das es uns
dann erlaubt, da rein zu gehen.
sozusagen die zone zu betreten,
ohne dass es die sicherheitskräfte merken?
das ist ja unser bild davon, dass da sicherheitskräfte sind, die
da etwas zu sagen haben. das ist nur eine möglichkeit und wenn
ich mir vorstelle, dass es ein ort ist, wo sicherheitskräfte herumlaufen,
die dort etwas zu sagen haben, dann wird das auch so sein, dann
werde ich genau das dort finden.
das interview führte piotr szrek